Dienstag, 2. April 2013

ALKI ZEI * ΑΛΚΗ ΖΕΗ



Annivas-Schuhe

„Mamaaaa!“
„Mamaaaaaaa!“
„Mamaaaaaaaaaa!“
Manos schreit immer lauter.
Mama hört nicht, sie ist in der Küche und hat die Tür zugemacht.
Sie brät Frikadellen und will nicht, dass sich der Bratgeruch in die ganze Wohnung verbreitet.
Mama und Oma hassen den Bratgeruch.
Manos hasst die Dame, die eine Etage unter ihnen wohnt.
Die Dame von unten hasst Manos und alle Kinder der Nachbarschaft.
Sie liebt nur ihren Hund.
Der Hund bellt andauernd, gleicht einer großen Maus und heißt Susi.
Als Manos klein war, dachte er, Bratgeruch wäre die Dame von unten.
„Mach schnell die Wohnzimmertür zu, damit kein Bratgeruch rein kommt“, rief Oma.
Manos schloss sie ganz schnell und schaute durch das Schlüsselloch, um die Dame mit dem Maus-Hund zu sehen.
Inzwischen ist er älter geworden und weiß, was Bratgeruch ist.

„Mamaaaaaaaaaaaaa!“
Seine Cousine Margarita ist daran schuld, dass Mama sich sofort beeilte, sich in der Küche einzuschließen, direkt nachdem sie von der Arbeit zurück kam.
Margarita wurde nämlich krank und wenn sie krank ist, geht die Oma hin und bleibt bei ihr, weil Tante Katina – Margaritas Mutter – sehr spät von ihrem Büro nach Hause kommt und sonst niemanden hat, der auf Margarita aufpassen kann.
Sein Cousinchen also wird immer wieder krank. Mal sind es die Mandeln, mal die Grippe, mal die FRÜHE GRIPPE – so heißt doch jene komische Krankheit.

„Schickt mir die Oma“, sagt Margarita am Telefon, „ich habe die FRÜHE GRIPPE“.
Sie sagt es so stolz, als wäre es etwas sehr Wichtiges.
Opa hat ihnen erklärt, dass diese Krankheit wie Schnupfen ist und Frühjahrsgrippe heißt.
Wichtigtuerin, denkt Manos, und dafür wollen sie Oma haben!
Nach Margaritas Anruf nimmt Oma eine große Tasche und geht.
Mama hat gerade noch Zeit, ihre Tasche abzustellen, wenn sie von der Arbeit kommt, und schlüpft dann sofort in die Küche.
Manos wird sehr selten krank. Er hätte auch gerne die FRÜHE GRIPPE. Mal sehen, was dann passieren würde. Müsste die Oma entzwei geteilt werden?!

„Mamaaaaaaaaaaaaaaaa!“

Mama rührt sich nicht.
Manos fragt sich, warum nicht Opa die Frikadellen brät, der sowieso den ganzen Tag zu Hause ist. Aber es ist sicher, dass Mama es nicht zulassen würde.
„Lasst den Opa in Ruhe, er hat Vieles in seinem Leben erlitten“, sagt Mama immer.
Wenn er erwachsen ist, will Manos auch „viel erlitten haben“, damit er, wie Opa, nichts zu tun und nur die Blumen auf dem Balkon zu gießen braucht.

„Mamaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!“
Endlich! Die Küchentür geht auf und Mama kommt zusammen mit dem Bratgeruch heraus. Der Bratgeruch ist gar nicht so schlimm. Er riecht nach Frikadellen.
„Warum schreist du so?“ fragt Mama, während sie zum Esszimmer geht, wo Manos ist.
Manos guckt zusammen mit Opa die Nachrichten im Fernsehen. Das heißt, Opa guckt, Manos ist mit seinen Gedanken woanders.
„Mama, kauft ihr mir ADIDAS-Schuhe?“ fragt Manos.
„Hast du mich deswegen gerufen? Ich ersticke vor so viel Arbeit!“ sagt Mama.
„Die Kinder, die ADIDAS tragen, kommen in die stärkste Fußballmannschaft“ sagt Manos nörgelnd.
Mama antwortet nicht, geht wieder wie der Wirbelwind raus.
„Essen wir?“ ruft Opa ihr zu und schaltet den Fernseher aus.
„Bald“ antwortet Mama von der Küche.
Papa kommt von der Arbeit und bringt ein französisches Brot mit.
„Setzt euch“ ruft Mama.
Sie setzen sich. Mama bringt die Frikadellen und den Salat.
„Kauft ihr mir ADIDAS-Schuhe?“ fragt Manos, den Mund voll gestopft mit seiner Frikadelle.
„Annivas-Schuhe?“ staunt Opa.
Papa lacht.
Mama lacht überhaupt nicht.
Manos schluckt seinen Bissen hinunter.
„Alle Kinder, die ADIDAS tragen, kommen in die stärkste Mannschaft“, sagt Manos wieder, damit es alle hören.
„Als ich klein war, spielte ich barfuß und keiner konnte es mit mir aufnehmen. Annivas-Schuhe, dass ich nicht lache!“ sagt Opa.
„Sind sie teuer?“ fragt Papa.
„Sauteuer“ antwortet Mama.
„Vielleicht zu deinem Geburtstag“ sagt Papa.
Manos sagt nichts. Er denkt, dass jetzt Oktober ist und sein Geburtstag erst im April.
Bis dahin wird ihn sein Mitschüler Antonis, der alles in der Klasse regelt, in der Mannschaft mit den schlechten Spielern lassen.
„Lass doch jetzt nicht den Kopf hängen!“ sagt Mama.
Manos’ Nase klebt fast in seinem Teller. Er hebt wieder den Kopf.
„Tränen! Wegen der blöden Annivas-Schuhe?“ fragt Opa.
„So klein und sich auf Grund der Schuhe in verschiedene Mannschaften aufteilen“ sagt Papa kopfschüttelnd.
„Sie tun es den Erwachsenen nach. Siehst du nicht, wie hoch Herr Jorgos die Nase trägt, seitdem er ein Hemd mit dem kleinen Krokodil darauf hat?“ sagt Mama.
„Was würde passieren, wenn er erst eins mit ’nem kleinen Elefanten hätte“ sagt Opa.
„Manos, du wirst sehen. Ich werde dir helfen“ sagt Papa.
Manos versteht nicht, wie er ihm helfen könnte. Als Papa ins Gymnasium ging, war er Torwart.
In der Schublade seines Schreibtisches hat er eine Medaille.
„Manoooooooooos! Manoooooooooos! Manoooooooooos!“
Hört man von draußen rufen.
Manos läuft zum Fenster.
Unten auf der Straße stehen drei ADIDASche.
So nennt man in der Klasse die Kinder, die ADIDAS tragen.
Es sind Antonis – der immer bestimnmt –, Christos und Kostas, der kugelige

„Manoooos! Manoooos! Sägebarsch!“ schreien die ADIDASchen.

Frau Bratgeruch kommt auf den Balkon raus, mit ihrem Hund in den Armen. Sie trägt ein kunterbuntes Hauskleid mit roten Rosen drauf.
„Was schreit ihr herum mitten am helllichten Tag, ihr ungezogenen Gören!“
Die ADIDASchen machen sich aus dem Staub.
Was wohl ungezogen bedeutet, fragt sich Manos.
Opa stellt sich neben Manos ans Fenster.
„Schau mal, das Dickerchen kann nicht mal laufen“ sagt Opa. „Wenn sie uns die Renten rückwirkend erhöhen, kauf ich dir die Annivas-Schuhe“ fährt Opa fort.
„Wie war das mit dem rückwirkend“ fragt Manos und schaut schräg zur Mutter hin, ob sie vielleicht Nein deutet.
Mama deutet nichts.
Papa raucht seine Zigarette und denkt über etwas nach.
Opa raucht seine Zigarre und denkt auch über etwas nach.
Manos hilft Mutter dabei, den Tisch abzuräumen und denkt an die Annivas-Schuhe, wie Opa sie nennt.
Jetzt hilft auch Opa beim Abräumen mit, auch wenn „er in seinem Leben viel erlitten hat“.
Papa raucht immer noch und ist immer noch nachdenklich.
Der Tisch ist abgeräumt, Mama nimmt die Tischdecke und geht aus dem Zimmer.
Manos holt die Tischdecke, die Oma bestickt hat und will sie auf die Tischmitte ausbreiten.
„Laß“ sagt ihm Papa und schaut auf Opa.
„Laß“ sagt ihm Opa und schaut auf Papa.
Manos legt die kleine Tischdecke auf einen Stuhl.
Papa fasst den Tisch mit beiden Händen.
„Fass mit an“ sagt Papa zu Opa.
„Fass mit an“ sagt Opa zu Papa.
Manos schaut beide an und versteht nichts.
Opa und Papa heben den Tisch und stellen ihn beiseite.
Jetzt nehmen sie jeden Stuhl einzeln weg und stellen sie auch zur Seite.
„So ist es gut“ sagt Opa zu Papa.
„In Ordnung“ sagt Papa zu Opa.
Manos scheint etwas begriffen zu haben.
Papa formt aus seiner Morgenzeitung einen Ball und klebt ihn mit Tesafilm zusammen.
„Fertig“ sagt Papa.
„Stell dich dort hin!“ Opa zeigt Manos einen Platz.
Papa wirft ihm den Zeitungsball zu.
„Schieß“ sagt Opa, der sich Manos gegenüber gestellt hat.
„Mach einen Kopfschuss“ sagt Opa.
„Schieß mit beiden Füßen“, sagt Papa.
„Pass mal!“ sagt Opa.
„Komm aus dem Tor raus!“ sagt Papa.
Manos schießt und fällt abwechselnd.
„Schieß in die Ecke!“ ruft Opa.
„Komm aus dem Tor raus, sag ich dir“ ruft Papa.
Dok-dok schlägt Frau Bratgeruch von unten mit dem Besenstil gegen ihre Decke.
„Mach eine Parade“ rufen Opa und Papa zusammen.
Mama steht an der Tür.
Manos sieht ihre Füße, so wie er da in seiner Torwartparade liegt, mit dem Zeitungsball in den Händen.
Mama wird uns jetzt anschreien, denkt Manos, weil Mama sich ärgert, wenn man auch nur einer kleinen Vase den Platz wechselt.
Er hebt den Kopf.
Mama lächelt.
„Wir machen einen Profi aus ihm“ sagt Papa.
„Sie werden ihn in die stärkste Mannschaft aufnehmen, ob sie wollen oder nicht!“ sagt Opa.
„Genug für heute“ sagt Papa.
„Manos hilft Papa und Opa dabei, die Möbel wieder zu recht zu rücken. Jetzt lacht er bis über beide Ohren.
Er wird es ihnen in der Klasse zeigen, was echter Spieler heißt! Sollen doch alle anderen ADIDAS oder Hemden mit dem kleinen Krokodil, oder Elefanten oder gar einem Nashorn tragen.


(Originaltitel: Τα παπούτσια του Αννίβα, mit Illustrationen von Sophia Zarambuka, Kedros Verlag, Athen 1986
Erstveröffentlichung auf Deutsch hier – in meiner Übersetzung)


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